Achtsamkeit - Schlüssel für Gesundheit und Glück
Wenn du das Wort Achtsamkeit hörst, denkst du vielleicht: „Ach, schon wieder dieses Thema – ausgelutscht, langweilig, das habe ich alles schon gehört.“
Doch ich wette, du hast noch nie von Prof. Dr. Ellen Langer gehört – und das, obwohl sie eine der spannendsten Persönlichkeiten auf diesem Gebiet ist.
Ellen Langer ist Harvard-Professorin und wird nicht umsonst die „Päpstin der Achtsamkeit“ genannt. Sie hat nicht nur zahlreiche Bestseller geschrieben – darunter „Achtsamer Körper“ und „Mindfulness“ –, sondern auch bahnbrechende Studien durchgeführt. Eine davon ist die berühmte Zimmermädchen-Studie, die eindrucksvoll zeigt, wie eng unsere Wahrnehmung, unser Bewusstsein und unsere Gesundheit miteinander verbunden sind.
Was ist Achtsamkeit überhaupt?
An dieser Stelle zitiere ich gerne Dr. Daniel Friedland gelernt habe, der Achtsamkeit als eine Haltung der Offenheit, Güte und Neugier gegenüber allen Erfahrungen (innerlich und äußerlich) ohne Bewertung und Urteil im Hier und Jetzt definiert.
Während jedoch viele Menschen bei Achtsamkeit an Meditation, Yoga oder Räucherstäbchen denken, definiert Ellen Langer den Begriff ganz einfach:
Achtsamkeit ist die Fähigkeit, im Alltag Neues zu entdecken.
Das bedeutet: Nicht gedankenlos durch den Tag zu rauschen, sondern wach und neugierig zu bleiben. Oftmals haben wir verlernt, neugierig zu sein, dabei ist das eine wichtige Eigenschaft, die unsere geistige Gesundheit und Resilienz bis ins hohe Alter erhalten kann. Darüber hinaus ist es die Grundvoraussetzung, um effektiv und mit Freude zu lernen. Albert Einstein hat es noch deutlicher formuliert:
„Ich bin weder klug, noch besonders talentiert. Ich bin nur sehr, sehr neugierig.“
Aber kommen wir zurück zu Dr. Ellen Langers Definition von Achtsamkeit mit einem einfachen Beispiel:
• Stell dir vor, du fährst jeden Tag denselben Weg zur Arbeit. Meistens bist du so in Gedanken, dass du dich am Ziel kaum noch erinnern kannst, wie du eigentlich dorthin gekommen bist.
• Versuchst du jedoch bewusst, jeden Tag etwas Neues zu entdecken, verändert sich dein Erleben: plötzlich fallen dir kleine Details auf – ein neues Graffiti an der Wand, ein Baum, der gerade blüht, oder das freundliche Lächeln einer Passantin.
So banal es klingt: Dein Gehirn wird dadurch „neu verdrahtet“. Du öffnest Türen für neue Erfahrungen, verbesserst deine Fähigkeit, flexibel zu reagieren, und bleibst geistig frisch – auch im hohen Alter.
Ich habe das selbst erlebt: Mein Onkel ist inzwischen über 80 Jahre alt, und doch wirkt er wacher und neugieriger als manch 20-Jähriger. Warum? Weil er sich diese Fähigkeit bewahrt hat, immer wieder offen für Neues zu sein.
Achtsamkeit vs. Achtlosigkeit
Langer beschreibt Achtsamkeit gern in einer einfachen Gegenüberstellung: Es gibt nur zwei Zustände – achtsam oder achtlos.
• Achtsam sein bedeutet, im Hier und Jetzt präsent zu sein, wahrzunehmen, offen zu bleiben.
• Achtlos sein heißt dagegen, unaufmerksam, unbewusst und abwesend durchs Leben zu gehen.
Und die Folgen von Achtlosigkeit können gravierend sein. Ich erinnere mich an einen Reitunfall, den ich nur knapp überlebt habe. Ich war in dem Moment nicht wirklich präsent, habe kleine Anzeichen nicht wahrgenommen – und prompt passierte es. Andere Menschen hatten weniger Glück. Das zeigt: Achtsamkeit ist keine Wellness-Mode, sondern kann im wahrsten Sinne des Wortes über Leben und Tod entscheiden.
Die Zimmermädchen-Studie – ein Aha-Erlebnis
Eine der bekanntesten Studien von Ellen Langer macht deutlich, wie sehr unsere Einstellung unsere Gesundheit beeinflusst.
Das Setting
Langer und ihr Team untersuchten in den frühen 2000er-Jahren 84 Zimmermädchen in verschiedenen Hotels in den USA. Diese Frauen arbeiteten hart: Sie machten täglich Dutzende Betten, saugten, schrubbten und trugen schwere Wäschewagen. Mit anderen Worten: Sie betrieben eigentlich jede Menge körperliche Arbeit.
Das Überraschende:
• Viele dieser Frauen sahen sich selbst nicht als sportlich aktiv.
• Auf die Frage nach Sport oder Bewegung antworteten sie oft: „Dafür habe ich keine Zeit.“
• Medizinische Untersuchungen zeigten: Viele hatten Übergewicht, erhöhten Blutdruck oder andere Risikofaktoren.
Die richtige Perspektive
Die Forscherinnen machten mit einer Gruppe der Zimmermädchen ein einfaches Experiment:
• Sie erklärten ihnen, dass ihre tägliche Arbeit bereits sportliche Betätigung sei – vergleichbar mit Fitnesstraining.
• Bettenmachen, Staubsaugen und Wäschetragen seien nichts anderes als Krafttraining, Ausdauertraining und Beweglichkeitsübungen.
• Die Frauen sollten ab sofort ihre Tätigkeit bewusst als Sport betrachten.
Die Kontrollgruppe erhielt diese Information nicht.
Die Ergebnisse
Nach nur vier Wochen zeigten sich erstaunliche Veränderungen – und zwar nur bei der Gruppe, die ihre Arbeit als Sport betrachtet hatte:
• Ihr Blutdruck sank signifikant.
• Sie verloren Körpergewicht und Körperfett.
• Ihr Body-Mass-Index (BMI) verbesserte sich.
• Sie fühlten sich fitter und gesünder.
Das alles, obwohl sich an der tatsächlichen Arbeit nichts geändert hatte!
Die einzige Veränderung war die achtsame Wahrnehmung der Tätigkeit. Indem die Frauen ihre Arbeit bewusst als Bewegung betrachteten, reagierte auch ihr Körper darauf.
Was wir daraus lernen können
Die Zimmermädchen-Studie zeigt:
• Unsere Einstellung zu dem, was wir tun, beeinflusst direkt unser körperliches Wohlbefinden.
• Achtsamkeit bedeutet nicht nur, im Moment zu sein, sondern auch, unsere Handlungen neu zu bewerten.
• Selbst scheinbar banale Routinen können uns gesünder und glücklicher machen – wenn wir sie bewusst erleben.
Vielleicht erkennst du dich wieder: Du gehst zur Arbeit, machst den Haushalt, führst den Hund spazieren – und denkst: „Das ist alles Alltagskram, Sport mache ich viel zu wenig.“
Doch was, wenn du diese Tätigkeiten neu betrachtest? Wenn Staubsaugen plötzlich „Rumpftraining“ ist, Treppensteigen „Kardio“ und das Heben von Einkaufstüten „Gewichtheben“?
Praktische Tipps für mehr Achtsamkeit im Alltag
1. Kleine Entdeckungsreise:
Wähle dir eine alltägliche Tätigkeit – zum Beispiel den Weg zur Arbeit – und finde jeden Tag etwas Neues, das dir bisher entgangen ist.
2. Sprache verändern:
Beschreibe deine Tätigkeiten anders. Statt „Ich muss noch putzen“ sage: „Heute mache ich mein Mini-Workout.“ Das verändert deine Haltung – und damit auch deine Energie.
3. Pausen bewusst wahrnehmen:
Achtsamkeit heißt nicht nur Tun, sondern auch Nichtstun. Setz dich zwischendurch hin, atme ein paar Mal bewusst durch und spüre, wie dein Körper sich anfühlt.
4. Körper und Geist verbinden:
Sei dir bewusst, dass jeder Gedanke körperliche Prozesse beeinflusst. Stressgedanken erhöhen Puls und Blutdruck – positive Gedanken können heilsam wirken.
5. Neugier kultivieren:
Frag nach, entdecke, bleib offen – egal ob du 20 oder 80 Jahre alt bist. Wie mein Onkel zeigt: Neugier hält jung.
Achtsames Lernen – ein weiteres Geschenk
Neben körperlicher Gesundheit betont Ellen Langer auch die Bedeutung von achtsamem Lernen. Statt Dinge auswendig zu pauken oder stur abzuarbeiten, geht es darum, flexibel zu bleiben, verschiedene Perspektiven einzunehmen und offen für Alternativen zu sein.
Das macht nicht nur das Lernen leichter, sondern hält auch geistig beweglich. Denn wie Langer betont: Geistige Starrheit ist genauso gefährlich wie körperliche Trägheit.
Achtsamkeit als Schlüssel für Gesundheit und Glück
Vielleicht verstehst du jetzt, warum Achtsamkeit so viel mehr ist als eine Modeerscheinung. Sie ist kein Luxus, kein „nice to have“, sondern ein Schlüssel – für Gesundheit, innere Ruhe und echtes Glück.
• Sie schützt uns vor Unfällen, weil wir präsenter sind.
• Sie hält uns geistig wach, auch im hohen Alter.
• Sie verbessert unsere körperliche Gesundheit, wie die Zimmermädchen-Studie eindrucksvoll zeigt.
• Und sie macht unser Leben reicher, weil wir lernen, auch im Gewöhnlichen das Besondere zu sehen.
Wenn du also das nächste Mal denkst: „Achtsamkeit ist doch langweilig“, dann erinnere dich an Ellen Langer – und vielleicht auch an die Zimmermädchen, die durch eine kleine Veränderung in ihrer Wahrnehmung gesünder und glücklicher wurden.
Achtsamkeit ist kein Dogma, sondern eine Einladung:
Sei neugierig, entdecke Neues und werde zum Gestalter deiner eigenen Gesundheit und deines Glücks.
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Quellen
• Langer, E. J., & Crum, A. J. (2007). Mind-set matters: Exercise and the placebo effect. Psychological Science, 18(2), 165–171. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.01867.x
• Langer, E. J. (2014). Mindfulness. Da Capo Press.
• Langer, E. J. (2020). The mindful body: Thinking our way to chronic health. PublicAffairs.